DIE GITARRE ALS LEBENSELIXIER

Volker Höh im Interview mit Daniela Heise in CONCERTINO,
Das Magazin für Gitarre, Mandoline und Laute - Ausgabe 1/2011

19.10.09, Theater Koblenz, Wozzeck von Alban Berg
Im Wirtshaus trifft Wozzeck Marie tanzend mit dem Tambourmajor. Er fühlt sich ohnmächtig, die Wahnvorstellungen werden stärker. Es kommt zum Bruch...
Allen zentralen Figuren des Stückes sind Themen zugeordnet, dabei nutzt Berg den gesamten Orchesterapparat, sie auszuspielen und zu verwandeln, so dass die Klangfarben flexible gehandhabt werden. Fast unbemerkt mischen sich unter den satten Orchesterklang zarte aufbegehrende Gitarrenklänge - am Instrument: Volker Höh. Ich lehne mich zurück und bin gespannt auf den kommenden Tag, das Interview und die gemeinsame Stunden im "Hause" Höh.

Daniela:
Lieber Volker, ein halbes Jahrhundert liegt hinter Dir. Du konntest im April 2009 deinen 50. Geburtstag bei bester Gesundheit, sprudelnder Lebensfreude und reich an weiteren Plänen begehen. Im Namen der Redaktion des concertinos und als befreundete Fachkollegin darf ich Dir noch nachträglich die herzlichsten Glückwünsche überbringen. Solch ein Jubiläum ist immer ein willkommener Anlass, eine kleine Rückschau zu halten. Du bist einer der interessantesten, vielseitigsten und erfolgreichsten Gitarristen unserer deutschen Musikszene. Ich freue mich sehr, Dich heute im Rahmen eines Interviews porträtieren zu dürfen. Bei einem Zusammentreffen vor einiger Zeit, ich denke, es war auf dem Gitarrenkurs in Remscheid, blieb mir ein Ausspruch von Dir in Erinnerung. "Die Gitarre ist mein Lebenselixier!" Ich denke, ein Zauber hat dieses Instrument schon in Deiner Kindheit oder Jugend auf Dich ausgeübt. Kannst Du Dich an die Anfänge erinnern?
Volker:
Ich bin mit sieben Jahren nach einem längeren Krankenhausaufenthalt vor Weihnachten nach Hause gekommen und durfte mir etwas wünschen und das war eine Gitarre. Seit dieser Zeit beschäftigt mich dieses Instrument. (Er schmunzelt.)... Bis heute, immer mehr!
Daniela:
Hattest Du auch das Glück, direkt Unterricht zu bekommen?
Volker:
Ja, von Anfang an in der Musikschule, und zwar lange Jahre im Zweierunterricht, was auch dazu geführt hat, dass wir schon sehr früh viel Duo gespielt haben und somit die Kammermusik quasi von Beginn an in die Wiege gelegt bekamen. Darüber hinaus durfte ich recht früh im Gitarrenensemble spielen unter der Leitung von Leo Stoffel aus Glan Münchweiler. Er war mein erster Lehrer.
Daniela:
Stammst du aus einer musischen Familie?
Volker:
Mein Großvater hat Violine und Mandoline, meine Eltern haben Akkordeon und Blasinstrumente gespielt, hauptsächlich Tanz- und Volksmusik. Ich bin der Erste, der das zum Beruf gemacht hat.
Daniela:
War für den Musikschulschüler Volker Höh recht früh klar - ich möchte Gitarrist werden oder kam diese Entscheidung erst viel später? Gab es da eventuell noch andere Berufswünsche?
Volker:
Als kleiner Junge wollte ich Förster, später Pilot werden. Aber die Musik hat mich dann doch gepackt und ich habe dann sogar das Fußballspiel sein lassen, damit ich am Wochenende Tanzmusik machen konnte. Ich habe mit 12 Jahren angefangen regelmäßig Tanzmusik zu spielen, auch Rockband, dann Blasorchester und Bigband, und so wurde mir die Musik in unterschiedlichsten Ausprägungen zu einem immer größeren Lebensinhalt.
Daniela:
Und wieso hat sich dann die Liebe zur Konzertgitarre herauskristallisiert?
Volker:
Die Konzertgitarre war der Anfang und ist bis heute der eigentliche Kern meiner Musikausübung geblieben. Ich verbringe ja sehr viel Zeit mit diversen Gitarren, auch im Theater, im Orchester mit Oper, Operette, Musical, Ballett und Schauspiel, übernehme dort Aufgaben mit allen möglichen Instrumenten, die gezupft und geschlagen werden. Du hast ja gestern eine kleine Kostprobe im Theater in Koblenz erlebt. Aber die Konzertgitarre ist bis heute das Instrument, welches mich immer wieder am meisten reizt und beschäftigt.
Daniela:
Somit war für Dich klar, nach dem Abitur geht es direkt an die Musikhochschule? (lacht)
Volker:
Nein. Ich habe nach dem Abitur ein Jahr über 30 Stunden an zwei Musikschulen unterrichtet um zu sehen, wie das Leben so ist und ob ich das wirklich möchte. Ich hätte gleich da bleiben können, aber ich habe gesagt, ich gehe studieren, ich will das erst richtig lernen!
Daniela:
Wo hast Du studiert?
Volker:
Zuerst in Koblenz an der damaligen Erziehungswissenschaftlichen Hochschule, die heute Universität ist, bei Susanne Schoeppe im Hauptfach Gitarre und im Nebenfach Klarinette. Im Anschluss daran habe ich an der Musikhochschule Westfalen/Lippe in Münster mein künstlerisches Studium bei Reinbert Evers abgeschlossen.
Daniela:
Ich kann mir vorstellen, dass Du Deine gewachsene Liebe für die Kammermusik während des Studiums nicht gegen die Solistenkarriere eintauschen wolltest. Sehe ich das richtig? Gab es da Schlüsselerlebnisse, die Du mir erzählen möchtest?
Volker:
Ja Du hast Recht! Es hat sich einfach ergeben, dass man mich in meinem zweiten Semester gefragt hat, ob ich in Koblenz in der Rheinischen Philharmonie im Theater spielen könne und ich der Einzige war, der auch mit einer E-Gitarre umgehen konnte und wollte. Zeitgleich wurde mir die Möglichkeit angetragen, Mauro Giulianis Sonate op. 85 für Flöte und Gitarre im Examen zu begleiten. Alle anderen wollten immer nur Solo spielen. Ich habe diese Aufgabe gerne übernommen und hatte somit an der Hochschule sehr früh meinen Einstieg als Kammermusiker. Danach hat die Flöten-Dozentin gefragt, ob ich nicht mit ihr musizieren wollte und so ging das ganz schnell. Und durch die Philharmonie hatte ich direkt viele Kammermusikpartner und das Glück in den vielfältigsten Kombinationen spielen zu können.
Daniela:
Aus Deiner Biografie geht hervor, dass Du recht frühzeitig an sehr vielen Meisterkursen hauptsächlich im Ausland teilgenommen hast. Du hattest Stipendien und Förderungen, hast die großen Meister erlebt. Welche Erkenntnisse aus dieser Zeit sind für Dich im Rückblick besonders wichtig?
Volker:
Ich habe sehr früh angefangen, Kurse zu besuchen und habe gesehen, dass sie alle wissen was sie tun, aber jeder es anders macht! Ich habe mich dann hauptsächlich von spanischen Lehrern wie Alberto Ponce und José Tomas prägen lassen. Julian Bream war immer ein großes Leitbild, wobei er leider wenig Spaß am Unterricht hatte. Er wollte immer nur die Stücke unterrichten, die er selber spielte... (schmunzelt) Es war sehr interessant, ihn als Person zu erleben. Sein Künstlertum und die Art und Intensität seiner Auseinandersetzung mit dem Instrument faszinieren mich bis heute. Danach war es eigentlich ein Pianist, der mich begeistert hat und zwar György Sebök, ein alter ungarischer Klavierprofessor, der in den Vereinigten Staaten gearbeitet hat. Bei ihm hatte ich den besten "Gitarrenkurs", den ich je bekommen habe. Seine Art und Weise an das Instrument heranzugehen haben mich stark geprägt.
Daniela:
Sicher gibt es noch weitere großartige Musiker aus deiner Jugendzeit, die dich mit ihrem Musikverständnis fasziniert und beeinflusst haben? Wer fällt Dir da spontan ein?
Volker:
Neben einigen Rock'n'Rollern auch Fritz Wunderlich. Er wurde ein weiteres Leitbild für mich. Ich bin ja in Kusel in der Pfalz zur Schule gegangen. Das war seine Heimatstadt und seine Art zu singen hat mich sehr begeistert. Danach hat mich die Auseinandersetzung mit der Musik von Gustav Mahler und dann Richard Wagner als Stipendiat in Bayreuth weiter gebracht. So hat sich bei mir meine eigene Vorstellung gefestigt, wie meine Gitarre klingen soll. Bis heute hat mich dieses Klangerlebnis der großen Oper- und Sinfonie gepackt und nie wieder losgelassen. Die Gitarre als Orchester zu empfinden und zu tüfteln, wie kann ich meine Leitbilder integrieren an meinem Instrument, das hat mich immer fasziniert und motiviert.
Daniela:
Wie wird man als Gitarrist Stipendiat an der Bayreuther Oper?
Volker:
Als Schüler hatte ich mein erstes großes Opernerlebnis mit dem "Fliegenden Holländer" in Saarbrücken. Das hat mich begeistert! Das Thema, der Klang und die ganze Art, ich hatte Feuer gefangen! Dann ergab sich während der Studienzeit in Koblenz, dass ich dieses Stipendium bekam und gleichzeitig in die Opernarbeit im Orchester einsteigen konnte. Das hat mich bis heute nicht mehr losgelassen. Ich versuche möglichst regelmäßig in Bayreuth zu sein und diesen Klang, sowie diese Art zu musizieren zu genießen und zu erleben. Diese Klanglichkeit - es gibt kein grobes Forte egal wie laut es wird. Es ist immer gedeckt, immer weich der Klang. Trotzdem stets vielfältig und farbig in allen Schattierungen. Das ist etwas, was ich auf meinem Instrument auch versuche! Man kommt sehr schnell an Grenzen nach oben, es wird eben nicht lauter und man muss mit anderen Mitteln, mit vielen Klangfarben, Phrasierung und Artikulation versuchen, die Dinge darzustellen, die die Musik von dir fordert.
Daniela:
Kann man auch sagen, dass tief in Dir stets die Sehnsucht schlummerte, ein Orchesterinstrument zu spielen?
Volker:
Nicht wirklich. Ich habe ja Klarinette noch als zweites Hauptfach studiert und im Schulorchester schon Kontrabass und Saxophon gespielt. Insofern habe ich das alles gelebt. Nur Orchester würde mich nicht wirklich zufriedenstellen. Und ich habe das Glück mit der Gitarre regelmäßig im Orchester zu spielen. Insofern bin ich mit meinem Instrument glücklich. Ich habe beides.
Daniela:
Das kann ich verstehen. Zumal man ja an unserem Instrument wie ein Dirigent ständig dem großen Gesamtbild nachstellt und in der Vielfältigkeit im Herausarbeiten aller Stimmen auf nur sechs Saiten einer recht großen Herausforderung gegenüber steht.
Volker:
Ich liebe diese ständige Herausforderung!
Daniela:
Nach dem Studium stellt sich dann ja immer die große Frage, was mach ich jetzt? Was hattest Du für Wünsche, Alternativen und was hast Du davon umgesetzt?
Volker:
Für mich war eigentlich immer klar, dass ich Gitarrenunterricht geben wollte und es ist für mich ein Glück, dass ich das tun kann. Mit anderen Menschen an der Musik zu arbeiten und damit seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, ist schon etwas Besonderes. Ich habe es aber auch genossen, von Anfang an in dieser Zweispurigkeit leben zu dürfen. Ich konnte immer selber spielen, was sich in den letzten Jahren noch deutlich intensiviert hat und die Unterrichtstätigkeit ist eine schöne Balance dazu. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Berufsbild, wie ich es leben kann.
Daniela:
Du arbeitest mit viel Engagement als Lehrer für Konzertgitarre an der Universität in Koblenz und am Landesmusikgymnasium Rheinland-Pfalz in Montabaur. Dort hast Du das erfolgreiche Gitarrenensemble "cantomano" gegründet und bereits mehrere Generationen interessierter und begabter junge Gitarristen, darunter viele Wettbewerbspreisträger herausgebracht. Mittlerweile studieren schon etliche Deiner Schüler Musik und man erkennt bei Dir, dass Du mit viel Hingabe diesem Lehramt gerecht wirst. Wie kam es zu der Anstellung in Montabaur?
Volker:
Ich habe mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie als Solist Rodrigos "Concierto de Aranjuez" gespielt und der Schulleiter vom Musikgymnasium saß im Publikum. Er kam dann hinterher in die Garderobe und sagte. "Wollen sie bei uns anfangen?"
Daniela:
Das war ja ein toller Einstieg und ein Beweis für diese auch notwendige Symbiose der Vorbildwirkung des Lehrers für die heranwachsenden begabten Jugendlichen.
Volker:
Gitarre als Solist vorzuspielen, ist oft recht mühselig für Kinder und Jugendliche. Gemeinsam geht das leichter. Und es gibt in der Kammermusik und im Ensemble so viel zu erleben, weiter zu entwickeln und zu lernen, das hat mir immer Spaß und Freude bereitet. Dazu die gruppendynamischen Prozesse, die mir das Lehren oft erleichtern und allen weiterhelfen. Was ich auch gesehen habe ist, dass die Lehrer, die das so oder ähnlich praktiziert haben, nie rückläufige Schülerzahlen hatten. Im Gegenteil!
Daniela:
Die gleiche Erfahrung habe ich auch gemacht und ich freue mich, dass wir die Vorliebe für das Orchester, bzw. Ensemblemusizieren teilen. Es sind ja die Erlebnisse über den täglichen Unterrichtsalltag hinaus, die den Wunsch nach mehr vertiefen.
Volker:
Das macht mir einfach auch Spaß, in dieser Komplexität über den Einzelunterricht hinaus, die verschiedenen Herangehensweisen in der Musik zu vermitteln. Wenn ich sehe, wie die Kinder im Ensemble miteinander umgehen, welches Selbstbewusstsein sie durch Ensemblespiel bekommen, dann macht mich das glücklich. Der Einzelunterricht allein hat gar nicht diese Möglichkeiten.
Daniela:
Cantomano ist ja seit seiner Gründung 1997 ein Erfolgsmodell. Ihr habt viele Preise, darunter jeweils einen 1. bei den beiden letzten Orchesterwettbewerben, gewonnen. Was bedeutet der Name?
Volker:
Die Idee kommt vom Singen auf der Gitarre - denke an Fritz Wunderlich und Richard Wagner. Es ist ein Kunstwort: "canto" der Gesang - "mano" der Hand. Also: "Gesang der Hände". Wir kommen ja gerade von einer Bolivien Tournee und dort hat diese Bedeutung sofort positive Resonanz gefunden.
Daniela:
Muß an der Schule jeder im Ensemble spielen?
Volker:
Sie dürfen! Nach 2 Jahren im Chor muß jeder Schüler am Musikgymnasium ein Ensemble nachweisen. Und das schöne ist: Jeder will im Ensemble spielen, ist stolz dabeizusein. Aber ich denke, das Erfolgsrezept von cantomano ist, dass wir von der 5. bis zur 13. Klasse miteinander spielen. Es gibt keine Anfänger und keine Stars. Jeder ist gleichwertig und gleichwichtig. Innerhalb der Gruppe regelt sich vieles von alleine. Sie lernen voneinander und ich muß deutlich weniger erklären als beim Aufbau des Ensembles vor 12 Jahren.
Daniela:
Mir ist aufgefallen, dass Eure Programme sehr vielfältig sind, über das gewohnte Zupfmusikrepertoire hinausgehen?
Volker:
Das kommt auch aus meiner Biografie. Wenn du meine Soloprogramme und CD's über die Jahre ansiehst, findest du diese Entwicklung vorgezeichnet in die verschiedensten Themen- und Stilbereiche hinein. Mich interessiert eigentlich alle Musik egal wo sie herkommt. Und die Stärke der Vielfältigkeit unseres Instrumentes möchte ich meinen Schülern und unseren Zuhörern auch mitgeben. Dazu ist es für alle viel spannender diese Vielfältigkeit noch durch unterschiedliches Instrumentarium und Einbezug von Percussion und Gesang oder Soloinstrumenten darzustellen.
Daniela:
Die Zypern CD mit cantomano hat mich sehr beeindruckt. Wie kommt so ein Projekt mit Jugendlichen zustande?
Volker:
Ich habe die letzten Jahre regelmäßig in Zypern konzertiert und unterrichtet. Und durch die Diskussionen mit dem Vorstand des Deutsch-Zypriotischen Vereins Kali Kypros, hat sich in vielen Gesprächen dieses grenzüberschreitende Projekt herausgebildet. Es war für mich wichtig, den Schülern zu zeigen, was es heißt auf Grenzen im eigenen Land zu stoßen. Nicosia und Berlin als geteilte Hauptstädte hatten vieles gemeinsam. So ist ein Projekt entstanden was Texte und Musik vereint und über die Kultur Bezug auf die Politik und unser Leben hat.
Daniela:
Als Ostdeutsche ist mir dies noch näher gegangen und ich freue mich, dass durch so ein Projekt politisches Bewusstsein und auch die Freude über die Bewältigung unserer innerdeutschen Grenzen den Jugendlichen von heute mitgegeben werden kann. Und Ihr kommt gerade aus Bolivien zurück. Auch nicht nur eine einfache und schöne Konzertreise könnte ich mir vorstellen?
Volker:
Genau. Aber für mich ist dies auch Motivation. Es ist für uns als Lehrer auch wichtig über das rein Instrumentale hinaus unseren Schülern zu zeigen, was in der Welt vor sich geht. Mich nicht in einen Elfenbeinturm auf meine Fingersätze zurückzuziehen, sondern zu zeigen, was ich mit unserem Beruf, mit unserer Kunst für Positionen und Aufgaben im richtigen Leben einnehmen kann. Und ein alter jüdischer Komponist hat mir einmal gesagt: "Dein Konzert ist genauso wichtig wie ein Gottesdienst! Weil die Besucher darin Frieden finden und mit diesem Frieden eine andere Ausstrahlung in ihrer Umwelt haben werden." Wir waren in einem der ärmsten Länder Südamerikas, in Bolivien und haben den Austausch mit Folkloremusikern gesucht, Waisenhäuser besucht, das tägliche Leben und die Probleme gesehen, die sich bei uns niemand vorstellen kann. Viele werden dadurch ihr Leben hier wieder in einem anderen Licht sehen. Das prägt, das formt, das bildet, das entwickelt. Das lohnt sich in meinen Augen sehr.
Daniela:
Du bist Herausgeber, Autor, Juror und Dozent auf vielen Festivals, du gastierst mit Kammermusikgruppen und Orchestern, hast Rundfunk und Fernsehauftritte gemacht, hast viele CD's eingespielt, bist Solist auf internationalen Konzertbühnen. Was steht dabei eigentlich ganz oben auf deiner Prioritätenliste?
Volker:
Immer das, was ich gerade tue!
Daniela:
Und unter welchem Motto?
Volker:
Ich werde auch oft gefragt, welchen Komponisten ich denn besonders liebe. Da gilt die gleiche Antwort. Das Stück was ich gerade spiele ist mir in diesem Moment mein Liebstes, das versuche ich so zu spielen, als wäre es das Wichtigste in meinem Leben! Danach kommen wieder andere Dinge, andere Schwerpunkte. Das macht ja diesen Beruf auch so spannend. Das was ich mache versuche ich lebendig und mit großer Intensität zu leben und zu tun. Dabei ist das tägliche Üben die Grundlage. Wenn man das als notwendiges Übel sieht, ist man im falschen Beruf. Natürlich sind die Konzerte die Highlights, aber wie wenige Prozent sind das, wenn man alles betrachtet, was damit zusammenhängt. Und jedes Konzert ist mir wichtig und macht mir Spaß. Ich spiele gerne! Und das Publikum mit meiner Musik anzusprechen und zu erreichen ist mir das Wichtigste. Egal wie viel da sitzen und wo das ist. Bei den Solokonzerten in Argentinien waren jetzt bis zu 500 Besucher da - ein Konzert mit 50 im Westerwald kann genauso aufregend, oder wichtig und schön sein.
Daniela:
Gibt es Stücke, die Du unbedingt noch spielen möchtest?
Volker:
Zwei Stücke von Hans Werner Henze: Kammermusik 1958 und El Cimarrón.
Daniela:
Ich möchte noch auf eine CD zu sprechen kommen "Cantos de Cuba". Ich habe Dich erzählen hören, Kuba hätte Dein Leben verändert. Was hat es damit auf sich?
Volker:
Das war mein Initialerlebnis mit einer anderen Welt. Südamerika war immer schon ein großes Thema für mich. Es verändert dich wenn du diese Menschen und ihre Welt selbst erlebst - anders als wenn du nur am Fernseher darüber erfährst. Darüber haben wir vorhin schon gesprochen. Und in der Musik faszinierte mich die Leichtigkeit mit der diese alten Herren musizierten. Mit am eindruckvollsten war ein Tag mit der Band, an dem ich zuerst meine Fassung ihrer Songs spielte und sie mir dann ihre Art vorspielten und mich mitspielen ließen. Diese Herzlichkeit und Gastfreundschaft! Musik als Therapie, als Lebenselixier, trotz allen Widerständen mit Spaß am Leben. Das zu erspüren und bewusst werden zu lassen war auch ein wichtiges Element der Kubareisen. Das ist ein Bild, was mich bis heute prägt und das wir als Pädagogen auch unseren Schülern mitgeben sollten: Musik als "(Über-)Lebensmittel" um den "täglichen Wahnsinn" zu überstehen, wie es ja auch schon Segovia geäußert hat. Das das Zurückziehen auf das Instrument, auf die Musik etwas ist, was uns hilft, was uns festigt. Aber du kannst diesen Beruf nur leben, wenn es zur Normalität wird mit deinem Instrument auch im Leben zu stehen. Auch ohne extra Schutzräume. Wir müssen Flexibilität lernen, beweglich bleiben bei allem was wir tun. Das hilft uns nicht nur beim Musizieren.
Daniela:
Was uns hilft wäre das nächste Stichwort. Du hast viel Unterrichtsliteratur veröffentlicht und auch einen Technik-Trainer. Wie sind diese Dinge entstanden?
Volker:
Es fing mit Kammermusik an. Das war erfolgreich. Der Verlag wollte dann mehr und so sind für den Anfangsunterricht eigene Sammlungen entstanden. Es ist schön, die Dinge zusammenstellen zu können, die dir besonders am Herzen liegen und das dann mit deinen Schülern zu erarbeiten. Meist bin ich nach weiteren Dingen gefragt worden, so wie die 100 Etüden in Zusammenarbeit mit Gerd Michael Dausend im Zimmermann Verlag.
Daniela:
Darauf wollte ich zu sprechen kommen. Danke für die Überleitung. Hier ist das besondere die Durchdringung, dass der Schüler Material bekommt, was ihn hinführt mit vielen zusätzlichen Erklärungen. Was war die Grundidee dabei?
Volker:
Die Idee war Informationen weiterzugeben. Wir klagen alle über die Ausbildungssituation unseres Instrumentes. Und wir wollten Hilfestellungen für den Schüler zum eigenen weiterführenden Erarbeiten geben. Und was uns besonders wichtig war, sind die Phrasierungsbögen, die man in Gitarrenausgaben bis heute immer vergeblich sucht. Bei Klavier und Violine ist das Standard seit jeher. Aber bei der Gitarre kann man ja scheinbar spielen ohne zu atmen...!?
Daniela:
Du merkst an meinem Lachen, das ich Deine Position teile.
Volker:
Es hat sich wenig geändert. Die Leute beschweren sich lieber über falsche Fingersätze, aber dass Phrasierungsbögen und vieles andere angeboten sind, übersehen sie geflissentlich.
Daniela:
Über Deine Juror und Dozententätigeit möchte ich noch sprechen. Du bist regelmäßig bei renommierten Festivals und internationalen Wettbewerben zu Gast. Welche Entwicklungen stellst du hier fest?
Volker:
Die Gitarristen werden immer jünger und perfekter. Sie wollen und müssen wohl alle noch schneller und lauter und weiter springen. Ich vergleiche unseren Beruf gerne mit dem Sport. Wer nicht trainiert kann keine Bundesliga spielen. Aber die Frage ist doch was uns wichtiger ist: Der olympische Gedanke oder wie dope ich am besten? Und für mich ist Musik Mensch sein, menschlich sein, Mensch bleiben, Spaß und Freude am eigenen Tun haben, mit anderen zu teilen und gemeinsam zu erleben. Etwas finden und sich vor allem auch erhalten, was ein ganzes Leben halten und tragen kann!
Daniela:
Wenn ich Deine Biografie sehe wundert mich schon, was und wie vielfältig Du die letzten 30 Jahre gearbeitet hast. Wo holst Du die Kraft für das alles her? Was ist Deine Kraftquelle? Ist es die Familie oder musikalische Leitbilder, oder alles gemeinsam?
Volker:
Na an dieser Stelle kommt doch immer der schöne Spruch: "Ohne meine Frau hätte ich das nie geschafft." Nur bei mir stimmt er wirklich! Andererseits musst du selber das ja auch wollen! Die Kraft zum Einen aus der Akzeptanz und Unterstützung der Familie, zuerst meine Eltern, dann meine Frau und Kinder, und zum Anderen aus dem Herzenswunsch selbst Musik zu machen. Ich habe vor kurzem in einem Fernsehinterview spontan gesagt: "Je älter ich werde, desto verrückter werde ich nach dieser Kiste!" Das trifft es eigentlich ganz gut. Und ich habe das Glück, das meine Frau das bis heute mitträgt.
Daniela:
In einer der letzten Concertinos warst Du mit einem Vorbild-T-Shirt zu sehen. Was hat es damit auf sich?
Volker:
Das Innenministerium Rheinland-Pfalz in Zusammenarbeit mit der Polizei, hat eine Kampagne gestartet um der Jugend Vorbilder zu zeigen, die ohne Alkohol, ohne Drogen an vorderer Stelle ihren Beruf, ihren Sport machen und Leistung bringen. Man muß nach einem Konzert nicht besoffen sein um Freude darüber zu empfinden. Und du hast vorhin die Wettbewerbe angesprochen: Immer mehr greifen zu vermeintlichen Hilfsmitteln die nur dazu führen, dass der Beruf auf Dauer nicht funktionieren kann. Die Jugend braucht Vor- und Leitbilder, die ihr zeigt, wie mit Problemen umgegangen werden kann. Das lehrt uns niemand. Das wird leider nicht in der Schule gelernt.
Daniela:
Deine aktuellsten Projekte zum Schluß:
Volker:
Es gibt ja gerade zwei neue CD's bei AUREA VOX. Ein kammermusikalisches Komponistenportrait von David Graham und eine Aufnahme, die mir sehr wichtig ist, zum 50. Todestag von Heitor Villa-Lobos und meinem 50. Geburtstag: "Brasilianische Szenen". Stücke von Villa-Lobos kombiniert mit einer Komplettaufnahme der "Cenas Brasileiras" von Isaias Savio. Villa-Lobos begleitet mich von Anfang an. Damit habe ich meine ersten Wettbewerbserfolge erspielt und jetzt, nachdem mir alle Manuskripte zugänglich waren habe ich versucht die Stücke noch einmal neu zu lernen. Bei Zimmermann wird jetzt nach "Step by Step" auch eine CD zu der Notenreihe "Könige der Gitarre" erscheinen. Und dann steht für NAXOS meine dann 3. CD, diesmal mit Werken von Johann Sebastian Bach, zur Aufnahme an.
Daniela:
Darauf freue ich mich jetzt schon. Gibt es Lebensträume, die noch verwirklicht werden wollen?
Volker:
In einem Rundfunkinterview habe ich als Schlusswort gesagt: Das Leben egal wie lange es dauern wird, ist viel zu kurz um alle Musik zu spielen die mich interessiert und die sich immer wieder neu auftut! Es bleibt spannend. Und diesen Sommer in Buenos Aires habe ich die rüstigen und noch auf der Gitarre aktiven 88-jährigen Aníbal Arias und 91-jährigen Eduardo Falu erlebt. Und auch den mit 94 verstorbenen Compay Segundo bewundert, der bis kurz vor seinem Tod auf der Bühne stand. Wenn du siehst, dass uns die Musik solange jung hält, lohnt es sich doch weiter Gitarre zu spielen.
Daniela:
Der Satz, "was zählt ist gute Spuren zu hinterlassen", könnte so etwas wie eines Deiner Lebensmottos sein?
Volker:
Wir sollten lernen Dinge auch wachsen zu lassen. Eines meiner wichtigsten pädagogischen Anliegen ist es, meine Schüler durch meinen Unterricht zur Selbständigkeit zu erziehen. Es ist für mich eigentlich notwendig zu sehen, dass sie mich irgendwann nicht mehr brauchen. Und wenn sie dann doch noch in Freundschaft an diese Zeit zurückdenken, dann ist das umso schöner!
Daniela:
Ich freue mich, dass du das so siehst und danke dir für dieses Interview.